- Käufer- und Konsumentenverhalten
- von Professor Dr. Thomas Foscht und Professor Dr. Bernhard SwobodaI. GrundbegriffeDas Käuferverhalten umfasst das Verhalten von Nachfragern beim Kauf, Ge- und Verbrauch von wirtschaftlichen Gütern. Hiervon abzugrenzen, enger gefasst ist das Konsumentenverhalten, das das Verhalten von Menschen beim Kauf und Konsum von wirtschaftlichen Gütern umfasst. Träger von Kaufentscheidungen sind also Organisationen oder private Personen (vgl. Tabelle „Grundtypen von Kaufentscheidungen“), wobei das individuelle Kaufverhalten im Mittelpunkt der Käuferverhaltensforschung und der folgenden Ausführungen steht.Obwohl eine kundenzentrierte Sicht zunehmend die Betriebswirtschaft prägt, bleibt die inhaltliche Erklärung des sich zunehmend dynamisch entwickelnden Käuferverhaltens weiterhin eine Domäne der Marketing- bzw. der Käuferverhaltensforschung. Dabei resultieren Herausforderungen u.a. aus Änderungen der sozio-ökonomischen, technischen, politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen, die mit dem Wandel des Käuferverhaltens korrespondieren. Während sich z.B. Konsumenten früher konsistent verhalten haben und in den 90er Jahren ein hybrides Verhalten beobachtet wurde, skizziert H.-P. Liebmann Verhaltensweisen, in denen mehrere Handlungsprinzipien verfolgt werden und daher ein divergierendes (multioptionales) Verhalten bis hin zum paradoxen Verhalten vorliegt. Die Beobachtungen werden begleitet von einem Wandel der Perspektiven, so von der auf einzelne Beeinflussungen/Transaktionen ausgerichteten Perspektive auf eine Betrachtung von Kundenbeziehungen. Dies spiegelt sich in der Entwicklung der Erklärungsansätze des Konsumentenverhaltens – im Sinn eines modernen Bezugsrahmens – wider.II. Synopse der ErklärungsansätzeDie Wurzeln der Kaufverhaltensforschung liegen zunächst in ökonomischen Theorien begründet. So basiert die Mikroökonomik i.d.R. auf Axiomen mit Prämissen, wie vollkommene Information, unbegrenzte Problemlösungskapazität und Rationalität, auf deren Grundlage optimale Entscheidungen abgeleitet und Empfehlungen für richtiges – im Sinn von optimales – Verhalten gegeben werden. Die Kritik an den Ansätzen richtet sich gegen die Prämissen, so die Annahme eines sich rational verhaltenden Menschen. Sie bildet die Basis für Weiterentwicklungen, die sich v.a. von einzelnen Annahmen lösen. Z.B. geht die Informationsökonomie von unvollständigen Informationen und von unterschiedlich gelagerten Unsicherheitsproblemen der Kaufentscheidung aus. Sie nähern sich dem Käuferverhalten allerdings eher von einer ökonomischen bzw. kognitiv gefärbten Seite.1. Verhaltenswissenschaftliche, deterministische AnsätzeDie Wurzeln der verhaltenswissenschaftlichen Konsumentenverhaltensforschung liegen im Behaviorismus, der direkt beobachtbare Größen analysiert. Beobachtbar sind einerseits Stimuli/Reize, die auf ein Individuum einwirken (z.B. Verkaufsförderungsaktion) und andererseits die dadurch ausgelösten Reaktionen (z.B. Produktkauf). Das Individuum wird in diesen Stimulus-Response-(SR)-Modellen als Black-Box aufgefasst, so dass die Frage, welche Prozesse im Individuum zum beobachtbaren Verhalten führen auf dieser Basis nicht erklärt werden kann.Die Einbeziehung dieser nicht direkt beobachtbaren Größen charakterisiert die SOR-Modelle des Neobehaviorismus, die die intervenierenden Variablen der Black-Box strukturieren (vgl. Abbildung „Neobehavioristisches SOR-Modell des Konsumentenverhaltens“). Früh sind auf dieser Basis komplexe Totalmodelle entwickelt worden, in denen versucht wurde, viele (möglichst alle) Determinanten des Verhaltens gleichzeitig zu berücksichtigen. Nachteilig erwies sich indessen deren Komplexität, Starrheit und nicht zuletzt Messung. Insofern wendete man sich Modellen geringerer Komplexität und Reichweite zu, die das Käuferverhalten aber in bestimmten Situationen (bei Marken, im Laden etc.), zu erklären in der Lage sind. In diesem Zuge öffnete sich die Konsumentenverhaltensforschung zunehmend in Richtung der Psychologie oder Soziologie.Zugleich fokussiert sie auf psychischen Determinanten, mit deren Hilfe unterschiedliches Kaufverhalten erklärt werden kann. Ihre Vielfalt kann in einem Schalenmodell abgebildet werden (vgl. Abbildung „Schalenmodell ds Käuferverhaltens“). Hierbei erfolgt eine Trennung von aktivierenden und kognitiven Determinanten. Darüber hinaus sind Umweltdeterminanten für das Kaufverhalten relevant, die nach den persönlichen Determinanten (psychologische Prädispositionen) sowie sozialen und kulturellen Determinanten gegliedert sind.2. KaufentscheidungstypenEine zweite Basis in modernen Konzeptionen bilden die Kaufentscheidungstypen des Kaufverhaltens, d.h. Systematisierung der komplexen Verhaltensweisen bei individuellen Kaufentscheidungen in Abhängigkeit vom Grad der kognitiven Steuerung. Zu betrachten sind die Entscheidungen mit stärkerer kognitiver Kontrolle (extensiv und limitiert) sowie Entscheidungen mit geringer kognitiver Kontrolle (habituell und impulsiv; vgl. Tabelle „Arten vonKaufentscheidungen“). Für das Auftreten einzelner Kaufentscheidungstypen werden die Art des auszuwählenden Produktes (z.B. Gebrauchs-/Verbrauchsgüter), die Kaufsituation (z.B. Neuartigkeit der Situation, Zeitdruck) oder Prädispositionen (z. B. Involvement) differenziert.3. Käuferverhalten in KundenbeziehungenEinen jüngeren Entwicklungszweig bilden Ansätze, die sich der Kundenzufriedenheit oder -bindung, allgemeiner dem Relationship Marketing widmen. Dies resultiert daraus, dass belegt wurde, dass langfristige Geschäftsbeziehungen profitabler sind als kurzfristige und, dass Menschen sich nicht nur im privaten Bereich immer weniger binden (lassen wollen), sondern auch in Beziehungen zu Unternehmen; häufig sogar bewusste Abwechslung suchen („Variety Seeking“). Die Ansätze ergänzen die „Beeinflussungsperspektive“ der SOR-Modelle, indem sie nicht nur die Wirkungen, sondern auch Interaktionen und Potenziale in langfristigen Kundenbeziehungen hervorheben.In diesem Zuge werden die u.a. aus dem organisationalen Kaufverhalten bekannten Kaufphasen auf die Konsumentenforschung neu übertragen. Phaseneinteilungen orientieren sich oft an den Stufen eines eher kognitiven, „rationalen“ Entscheidungsprozesses: Prozessanregungs-, Such-, Vorauswahl-, Bewertungs- und Auswahl-, Realisierungs- und Nachkaufphase. Zwar kann ein detailliertes Phasenraster nicht für alle Kaufsituationen zutreffen. Eine reduzierte Unterscheidung von drei Phasen ist dennoch wertvoll: Vorkaufphase, Kaufphase und Nachkaufphase. Dies entspricht einem Buying Cycle, wobei die letzte Phase erneut die Vorkaufphase im Zuge eines Folgekaufverhaltens einleiten kann. Eine derartige Betrachtung eröffnet mehrere Vorteile.Erstens berücksichtigt der Buying Cycle die zunehmende Notwendigkeit, Austauschbeziehungen mit Konsumenten ganzheitlich zu beachten. Für das Marketing ergibt sich aus einer Phasendifferenzierung die Möglichkeit, auf die spezifischen Bedingungen der einzelnen Phasen einzugehen. Zweitens lenkt der Buying Cycle den Blick verstärkt auf das Nachkaufmarketing, d.h. nicht nur auf Prozesse vor und während des Kaufvorgangs, sondern auch auf solche danach. In der aktuellen Diskussion des Kundenbindungsmanagements stehen Kundenbindungsprogramme, so Instrumente des Nachkaufmarketing, -Service oder -Kommunikation (z. B. Nachkaufberatung, Kundenschulung, Kundenkarten und -clubs, Beschwerdemanagement). In diesem Zusammenhang spielt ferner die Betrachtung des Kundenwertes während der gesamten Kundenbeziehung eine zunehmend wichtige Rolle.III. EntwicklungsperspektivenInsgesamt lässt sich heute ein moderner Bezugsrahmen des Konsumentenverhaltens durch ein Streben nach Traditionalität, Prozessualität und Ganzheitlichkeit charakterisieren. Traditionell bilden die im Kontext der SOR-Modelle stehenden psychischen und sozialen Determinanten des Käuferverhaltens die Basis der Erklärung. Einen zweiten Ansatzpunkt liefern Kaufentscheidungstypen und einen dritten die Kaufentscheidungsphasen, die verbunden in einem Buying Cycle, den Gedanken eines integrativen und prozessualen Gesamtmarketing ausdrücken.Literatur: Backhaus, K., Industriegütermarketing, 7. Aufl., München 2003; Blackwell, R./ Miniard, P./ Engel, J., Consumer Behavior, 9. Aufl., Orlando 2001; Foscht, T./ Swoboda, B., Käuferverhalten, Wiesbaden 2004; Kroeber-Riel, W./ Weinberg, P., Konsumentenverhalten, 8. Aufl., München 2003; Kuß, A./ Tomczak, T., Käuferverhalten, 2. Aufl., Stuttgart 2000; Liebmann, H.-P., Auf den Spuren der „Neuen Kunden“, in: Zentes, J./ Liebmann, H.-P. (Hrsg.), GDI-Trendbuch, Düsseldorf u.a. 1996, S. 37–54; Trommsdorff, V., Konsumentenverhalten, 4. Aufl., Stuttgart 2002.
Lexikon der Economics. 2013.